Bundesarbeitsgericht: Virtuelle Mitarbeiterbeteiligungen (VSOPs) gelten unter Umständen als Vergütung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat seine Rechtsprechung zu virtuellen Mitarbeiterbeteiligungen (VSOPs - Virtual Stock Option Plans) geändert. Wenn eine vertraglich vereinbarte Warte- oder Leistungszeit ("Vesting-Periode") abgelaufen ist, die Beteiligungen also "gevestet" sind, dann gelten sie als eine Vergütung, deren Erhalt sich der Arbeitnehmer erarbeitet hat. Gevestete VSOPs behalten nach der neuen Rechtsprechung ihre Wirksamkeit, auch wenn der Arbeitnehmer aus dem entsprechenden Unternehmen ausgeschieden ist. Für "ungevestete VSOPs" gilt dies nicht. Gerade Start-ups setzen VSOPs gerne zur Motivation und zur Bindung von Beschäftigten ein.

Das BAG urteilte: Bestimmt eine Verfallklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), dass zugunsten des Arbeitnehmers gevestete virtuelle Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung sofort verfallen, benachteiligt diese den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB - Bürgerliches Gesetzbuch). Das Gleiche gilt für eine Klausel, die vorsieht, dass die gevesteten virtuellen Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses doppelt so schnell verfallen, wie sie innerhalb der Vesting-Periode entstanden sind.

Der Kläger war vom 01.04.2018 bis zum 31.08.2020 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristgerechte Eigenkündigung. Im Jahr 2019 erhielt der Kläger ein Angebot auf Zuteilung von 23 virtuellen Optionsrechten (sogenannte "Allowance Letter"), das er durch gesonderte Erklärung annahm. Nach den Bestimmungen für Mitarbeiter-Aktienoptionen (Employee Stock Option Provisions: "ESOP") setzt die Ausübung der virtuellen Optionen, die zu einem Zahlungsanspruch gegen die Beklagte führen kann, deren Ausübbarkeit nach Ablauf einer Vesting-Periode und ein sogenanntes "Ausübungsereignis", wie einen Börsengang, voraus. Dabei werden die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen nach einer Mindestwartezeit von zwölf Monaten innerhalb einer Vesting-Periode von insgesamt vier Jahren gestaffelt ausübbar.

Die Vesting-Periode wird ausgesetzt, wenn und solange der Arbeitnehmer von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung ohne Gehaltsanspruch entbunden ist. Nach Nr. 4.2 ESOP verfallen bereits ausübbare (gevestete), aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen u. a., wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers endet. Im Übrigen verfallen gevestete, aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen nach Nr. 4.5 ESOP sukzessiv innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach Ende des Arbeitsverhältnisses. Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers waren 31,25 % der ihm zugeteilten Optionsrechte gevestet. Mit Schreiben vom 02.06.2022 machte der Kläger seinen Anspruch auf diese virtuellen Optionen geltend. Die Beklagte lehnte den Anspruch unter Hinweis auf den Verfall der Optionsrechte ab.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die ihm zugeteilten und gevesteten virtuellen Optionen seien nicht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, da die Verfallklauseln unwirksam seien. Die Optionen seien essenzieller Bestandteil des Vergütungspakets gewesen. Er habe die Ausübbarkeit der Optionen durch die Erbringung der Arbeitsleistung in der Vesting-Periode erarbeitet und damit der Anreizfunktion genügt. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die virtuellen Optionsrechte seien verfallen. Zweckrichtung der virtuellen Optionen sei die Belohnung der Betriebstreue bis zum Eintritt eines Ausübungsereignisses. Es handle sich lediglich um eine Verdienstchance, sodass bei einem Verfall kein erdienter Lohn entzogen werde.

Die Vorinstanzen haben die vom Kläger erhobene Feststellungsklage abgewiesen. Seine Revision hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die gevesteten virtuellen Optionen sind nicht verfallen. Bei den Bestimmungen über das Mitarbeiterbeteiligungsprogramm handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfenden Verfallklauseln halten einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand. Die durch partiellen Ablauf der Vesting-Periode gevesteten virtuellen Optionen stellen auch eine Gegenleistung für die vom Kläger in dieser Zeit im aktiven Arbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung dar. Dies folgt insbesondere aus der in den ESOP enthaltenen Regelung zur Aussetzung der Vesting-Periode in Zeiten, in denen der Arbeitnehmer keinen Entgeltanspruch erwirbt. Der sofortige Verfall gevesteter Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt die Interessen des Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung bereits erbracht hat, nicht angemessen und steht dem Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB entgegen.

Außerdem stellt dies eine unverhältnismäßige Kündigungserschwerung dar, da der Optionsberechtigte zur Vermeidung einer möglichen Vermögenseinbuße das Arbeitsverhältnis vor einem ungewissen Ausübungsereignis nicht kündigen dürfte. Soweit der Senat in einer älteren Entscheidung (BAG, 28.05.2008 – 10 AZR 351/07) den sofortigen Verfall bereits gevesteter Optionen, die während des Arbeitsverhältnisses noch nicht ausgeübt werden konnten, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für zulässig gehalten hat, hält er daran nicht mehr fest. Auch die Klausel unter Nr. 4.5 ESOP benachteiligt den ausscheidenden Arbeitnehmer bei typisierender Betrachtung unangemessen. Sie reflektiert durch den graduellen Verfall der Optionen zwar, dass dessen Einfluss auf den Unternehmenswert mit der Zeit abnimmt; sie lässt jedoch – ausgehend von der hier geregelten Vesting-Periode von vier Jahren und der enthaltenen Mindestwartezeit von einem Jahr – zu, dass die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen doppelt so schnell verfallen, wie sie gevestet sind. Damit lässt sie die Zeit, die der Arbeitnehmer durch Erbringung seiner Arbeitsleistung in der Vesting-Periode für die ausübbaren Optionsrechte aufgewandt hat, unberücksichtigt, ohne dass die kürzere Verfallfrist durch entgegenstehende Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist.


Erstellt von (Name) S.P. am 20.11.2025
Geändert: 21.11.2025 07:09:46
Autor:  S. P.
Quelle:  Bundesarbeitsgericht
Bild:  Bildagentur PantherMedia / Tobias Ott
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